Die Sage vom Pulverturm

Der Pulverturm Zofingen

Der Pulverturm Zofingen

Die Sage vom Pulverturm – oder wie der Pulverturm zu seinem Dach kam

Von Walter Gut

Gemäss einem alten Dokument, das vor einiger Zeit im Pulverturm gefunden wurde, besass der Pulverturm ursprünglich kein Dach. Der Turm war oben offen und mit einer gezackten Zinne versehen. Die Turmwache war schutzlos im Freien dem Wind und Wetter ausgeliefert.

Das Dokument besagt weiter, dass die Wächter daher an die Stadtregierung gelangten und diese darum baten, den Turm mit einem Dach zu versehen. Den Stadtherren fehlte es sowohl an Einsehen als auch an Geld, um die Bitte der Wächter zu erfüllen.

So beschlossen diese, selber Geld für den Bau eines Daches zu sammeln. Das Vorhaben ging aber gar harzig vonstatten, denn nur wenige Leute hatten ein paar müde Groschen dafür übrig. Zu allem Unglück hatten sie ihre Spende auch noch einem etwas liederlichen Turmwächter anvertraut, «Seppe-Toni's Bärtu» genannt.

Dieser brachte das wenige gesammelte Geld in den Schenken von Zofingen bei Spiel und Alkohol wieder unter die Leute.

So trafen sich dann eines Tages alle Turmwächter im zweiten Obergeschoss des Turmes zu einer Versammlung und stellten «Seppe-Toni's Bärtu» zur Rede. Dieser antwortete ihnen auf ihre Vorhaltungen hin: «Ach, das ist ja nur das Betteln versäumt, soviel Geld wie wir für ein Dach benötigen, werden wir in hundert Jahren nie sammeln können, da spielt es doch keine Rolle, wenn ich das Geld versoffen und verspielt habe.» Die anderen Turmwächter waren ob «Seppe-Toni's Bärtus» Antwort über alle Massen erzürnt und wollten ihn zum Fenster hinaus in den Burggraben werfen. In seiner Not flehte der verängstigte Turmwart: «Haltet ein, haltet ein, der Teufel soll mir helfen, euch ein Dach auf den Turm zu bauen!»

Im selben Augenblick erhob sich ein gewaltiges Tosen und Toben und unversehens sass auf dem hölzernen Treppenabsatz der Fenstertreppe ein dunkelhäutiger Mann, gekleidet mit einem roten Mantel und rotglühend funkelnden Augen. «Wer hat mich gerufen, wem kann ich dienlich sein?» Die Turmwächter duckten sich verängstigt in eine Ecke. Nur «Seppe-Toni's Bärtu» fasste sich ein Herz und offenbarte ihm sein Anliegen.

«Wohlan denn», sprach der Teufel, «ich kann euch sehr wohl helfen. Über Nacht will ich euch ein Dach über dem Turm errichten. Als Gegenleistung aber überlasst ihr mir das Erstgeborene des nächsten Christmonats und übergebt es mir in der darauf folgenden Nacht hier an dieser Stelle im Turm. In seiner Angst willigte «Seppe-Toni's Bärtu» unverzüglich in diesen Handel ein.

Und siehe da, am nächsten Tag stand der Pulverturm mit einem neuen Dach da – genauso, wie man ihn noch heute kennt.

Als dann der Christmonat nahte, wurde es dem «Seppe-Toni's Bärtu» je länger desto gschmucher. Er sann nach einer List, wie er den Teufel übers Ohr hauen könnte. Da kam ihm eine Idee. In der Nacht auf den ersten Tag des Christmonats durchstreifte er das ganze Städtchen. Und siehe da, kurz nach Mitternacht erblickte er im Petschirgässli eine Katze, die gerade sieben Junge geworfen hatte.

«Seppe-Toni's Bärtu» packte eines der jungen Kätzchen in Linnen (Anm. haltbares Gewebe aus Flachs, Leinentuch) und brachte es am folgenden Tag um Mitternacht in den Pulverturm. Der Teufel wartete bereits, auf der Fenstertreppe des zweiten Obergeschosses sitzend, auf «Seppe-Toni's Bärtu». Dieser überreichte ihm das Bündel mit der kleinen Katze. Als der Teufel das Bündel entgegennahm, stiess das Kätzchen ein klägliches Miauen aus.

Der Teufel merkte, dass er überlistet worden war. Er kochte vor Wut, stiess ein schreckliches Gebrüll aus und der hölzerne Treppenabsatz ging augenblicklich in Flammen auf. Er zerriss das Bündel in der Luft und entwich unter Tosen und Toben durch die Mauer aus dem Turme. Zurück blieb ein schrecklicher Schwefelgestank.

Noch heute kann man die Stelle sehen, wo der Teufel aus dem Turme entwich. Der hölzerne Treppenabsatz konnte bis heute nicht wieder hergestellt werden. Jedes Mal, wenn eine neue Treppe angebracht war, fanden sich am andern Morgen nur Asche und einige verkohlte Holzstücke an der Stelle. Und so fehlt denn dieser Fenstertreppe bis auf den heutigen Tag der untere hölzerne Teil.

«Seppe-Toni's Bärtu» hat man seit jenem Tage nie mehr gesehen. Manchmal aber, in klaren Vollmondnächten, hört man um Mitternacht ein Poltern und Stöhnen. Wer stille sitzt und lauscht vernimmt auch das Miauen einer Katze aus dem Dachstuhl des Pulverturms. Und am darauf folgenden Morgen liegt jeweils ein Groschen auf dem Tisch der Turmstube.

Soweit der Bericht aus diesem alten Dokument.

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