PSI findet einen Weg, Schilddrüsenkrebs gezielter zu bekämpfen

Michal Grzmil, Tumorbiologe am PSI

Das hat natürlich Nebenwirkungen zur Folge.

Michal Grzmil, Tumorbiologe am PSI

Michal Grzmil

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Michal Grzmil untersucht Tumorzellen unter dem Lichtmikroskop. Foto Mahir Dzambegovic Bild ZVG Paul Scherrer Institut

Forschende am Paul Scherrer Institut PSI haben einen Weg gefunden, eine Form von Schilddrüsenkrebs in Zukunft wirksamer und mit weniger Nebenwirkungen zu behandeln. Derzeit läuft eine klinische Studie, die an Patienten ein Radiopharmakon erprobt. Das ist ein vielversprechendes Medikament, das Krebszellen von innen heraus mit radioaktiver Strahlung zerstört. PSI-Forschende haben jetzt entdeckt: Spritzt man vor dieser Therapie zusätzlich eine bestimmte Substanz, nehmen die Krebszellen grössere Mengen des Radiopharmakons auf − das erhöht vermutlich den Therapieerfolg und minimiert Nebenwirkungen. Die Ergebnisse erschienen im Fachblatt Theranostics.

Das medulläre Schilddrüsenkarzinom ist eine spezielle Form von Schilddrüsenkrebs: Dabei entarten die sogenannten C-Zellen. Sie bilden das Hormon Calcitonin, das den Kalziumhaushalt im Körper reguliert. Bei einem Patienten mit medullärem Schilddrüsenkarzinom entfernt der Arzt in einer Operation das Organ. Oft haben sich aber bereits Metastasen gebildet, und in dem Fall fehlt bisher eine spezifische Therapie gegen diese Art von Tumor.

Eine neue, vielversprechende Art von Medikament gegen solche Tumore und seine Metastasen sind Radiopharmaka. Das sind radioaktive Substanzen, die speziell dafür entwickelt wurden, Krebszellen von innen mit Strahlung zu zerstören. Die Anwendung ist einfach: Der Arzt spritzt dem Patienten das Medikament in die Vene, es verteilt sich im Körper, dockt an Krebszellen an und wird in diese eingeschleust. Den Rest des Medikaments scheidet der Körper nach etwa einer halben Stunde komplett aus. Nur in den Krebszellen entfaltet das radioaktive Medikament dann seine volle Wirkung.

In einer ersten Studie an sechs Patienten am Universitätsspital Basel hat sich das Radiopharmakon mit der Bezeichnung [177Lu]Lu-PSIG-2 als erfolgversprechend erwiesen. Die Substanz enthält 177-Lutetium, eine Form des Elements Lutetium, die künstlich hergestellt wird und unter Abgabe radioaktiver Strahlung von selbst zerfällt. [177Lu]Lu-PSIG-2 ist lizenziert vom Lausanner Pharmazieunternehmen Debiopharm, das es als DEBIO 1124 in klinischen Studien weiter testet.

Schwachstelle Magen

Das Medikament ist so konzipiert, dass es an Zellen andockt, die einen bestimmten Rezeptor ausbilden, also ein bestimmtes Eiweiss, das auf der Zellmembran sitzt. Dieses schleust das Medikament ins Innere der Zelle.

Das Problem: Der Teil des Radiopharmakons, der an den Rezeptor andockt, wurde aus einer natürlichen Substanz entwickelt, die im Körper aller Menschen vorkommt. Sie ist verantwortlich für die Ausschüttung von Magensäure nach dem Essen. Auch gesunde Magenzellen stellen also den Rezeptor her und auch an sie bindet daher das Radiopharmakon. «Das begrenzt die Menge des Medikaments, die der Arzt einem Patienten verabreichen kann», erklärt Tumorbiologe Michal Grzmil vom Zentrum für radiopharmazeutische Wissenschaften am PSI. «Die Zellen im Magen nehmen auch das Medikament auf, und ab einer bestimmten Dosis können sie ebenfalls zerstört werden. Das hat natürlich Nebenwirkungen zur Folge.» Muss die Dosis aufgrund dieser Nebenwirkungen gering gehalten werden, wirkt die Therapie aber womöglich nur unzureichend.

Noch während die klinischen Studien weiterlaufen, hat Grzmil bereits einen Weg bedacht, die Therapie zu verbessern, sollte das Radiopharmakon in Zukunft zugelassen werden. Er hat eine Substanz namens RAD001 gefunden, die Krebszellen so manipuliert, dass sie mehr Radiopharmakon aufnehmen. «Sie sorgt dafür, dass Krebszellen mehr Rezeptormoleküle ausbilden. Dadurch schleusen sie eine grössere Menge des Wirkstoffs in sich hinein.»

Erfolgschancen steigen

Eine Vorbehandlung mit RAD001 über fünf Tage hinweg erhöhte die spätere Aufnahme des Radiopharmakons in Krebszellen: Sie nahmen anderthalbmal so viel auf. Mehr Radiopharmaka im Inneren der Zellen bedeuten mehr Strahlkraft und grössere Erfolgschancen für eine Therapie.

Gesunde Magenzellen hingegen blieben im Tierversuch von der Substanz unbeeinflusst. Bei gleicher Menge an verabreichtem Medikament steigt also dessen Wirksamkeit, ohne die Wahrscheinlichkeit für Nebenwirkungen zu erhöhen. Ob das am Patienten genauso gut funktioniert wie im Labor, bleibt abzuwarten.

RAD001 ist bereits als Medikament gegen Krebs zugelassen. Welche positive Wirkung es auf die Aufnahme eines radionuklidmarkierten Gastrin-Analogs in Krebszellen hat, war bisher allerdings unbekannt.

Die Untersuchungsergebnisse wurden am 29. August 2020 im Fachblatt Theranostics veröffentlicht.

Weiterführende Informationen

https://www.psi.ch/de/media/radiopharmazie

Quelle: Paul Scherrer Institut Brigitte Osterath

13.10.2020

Originalveröffentlichung

Pharmacological inhibition of mTORC1 increases CCKBR-specific tumor uptake of radiolabeled minigastrin analogue [177Lu]Lu-PP-F11N

M. Grzmil, Y. Qin, C. Schleuniger, S. Frank, S. Imobersteg, A. Blanc, M. Spillmann, P. Berger, R. Schibli, M. Behe

Theranostics, 29. August 2020 (online)

DOI: 10.7150/thno.45440

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