Christine Hug, Oberstleutnant im Generalstab
Die Schweizer Armee steht für den Facettenreichtum unserer liberalen Gesellschaft.
Christine Hug, Oberstleutnant im Generalstab
Die Armee ist als Zweckgemeinschaft die grösste Vielfaltsgesellschaft der Schweiz. Um die Integration möglichst aller dienstwilligen Bürger bemüht sich selbst die oberste Armeeführung. Seit April 2019 kümmert sich denn auch eine Dienststelle um die Belange von transgeschlechtlichen Menschen. Ein Gespräch über die Vielfalt in der Armee mit der Transgender-Frau Oberstleutnant im Generalstab Christine Hug und Oberst André Güss, Chef der Arbeitsgruppe «Diversity Schweizer Armee».
Religionen, Sprachen, Sitten und Gebräuche, Körpermasse und auch Geschlechtlichkeit sind unverkennbare Merkmale eines jeden Individuums. Es existiert keine Homogenität in einer Gesellschaft, die Diversität ist gross. Sobald diese Vielfalt in ein Korsett gepresst wird, wie es die Zwangsgemeinschaft der Armee tut, können Konflikte entstehen. Dessen sind sich die Verantwortlichen des Militärs bewusst und haben Massnahmen lanciert.
Vom Veganer bis zum Transgender, alle sollen sie die Möglichkeit erhalten, Militärdienst zu leisten. Die Schweizer Armee müsse dabei nicht nur die Allgemeinheit abbilden, sondern auch ihre Chance nutzen, eine Avantgarde für die Gesellschaft zu sein, skizziert Transgender-Frau Oberstleutnant im Generalstab Christine Hug ihre Anspruchshaltung gegenüber der Schweizer Armee.
Christine Hug, Wie haben Sie als direkt Betroffene die Schweizer Armee im Umgang mit Diversität erlebt?
Christine Hug: Ich habe mir im Vorfeld über mein Coming-out lange Gedanken gemacht, obwohl die rechtlichen Rahmenbedingungen eigentlich gegeben sind. Doch eine Unsicherheit war bei mir vorhanden, ob ich meinen Beruf überhaupt noch weiter ausüben könnte und wie die Akzeptanz im Alltag ausschauen würde. Der Armee wird ja nachgesagt, sie sei eher den klassisch konservativen Werten und Haltungen verhaftet. Doch das ist ein Vorurteil, wie ich feststellen durfte.
Ich hatte das Glück, dass meinem direkten Vorgesetzten (Anm. d. Red.: Brigadier Fridolin Keller, Stabschef CdA) die Transgender-Thematik nicht ganz neu war. Er war damals Kommandant bei der SWISSINT, als die erste Transgender-Frau in der Schweizer Armee Dienst tat (Anm. d. Red.: Claudia Sabine Meier leistete als Transgender 2014 für die Swisscoy Dienst im Kosovo). Das hat es mir natürlich vereinfacht, mit ihm das Gespräch zu suchen. Über die Offenheit und die Akzeptanz, die mir der Chef der Armee und der Personalchef entgegengebracht haben, war ich auch positiv überrascht. Der Umgang meines Arbeitgebers mit mir hat meinen Bestfallerwartungen entsprochen.
Was mich zudem sehr positiv berührt hat, sind die mehrheitlich positiven und unterstützenden Rückmeldungen ganz vieler Berufskameraden. Natürlich erzeugte ich beim einen oder anderen etwas Verunsicherung, aber ich wurde im Grossen und Ganzen sehr offen aufgenommen und akzeptiert – im militärischen wie im privaten Umfeld.
Was bedeutet die gesellschaftliche Vielfalt für die Armee?
Hug: Die Schweizer Armee bildet einen beträchtlichen Teil unserer gesellschaftlichen Vielfalt ab, sie ist aber keinesfalls deckungsgleich mit allen sozialen Gegebenheiten – einerseits sind die Frauen mit unter einem Prozent in der Armee drastisch untervertreten, andererseits erfasst der Querschnitt nicht all jene Personen, die keine Kontaktpunkte mit dem Militär aufweisen, weil sie zum Beispiel dienstuntauglich sind. Nichtsdestotrotz steht die Schweizer Armee für den Facettenreichtum unserer liberalen Gesellschaft, diese Vielfalt muss eine Milizarmee denn auch in sich aufnehmen und wiedergeben.
Güss: Die Gesellschaft ist bekanntlich alles andere als uniform. Das gilt natürlich auch für die Armee, die ein Spiegelbild dieser Allgemeinheit darstellt. Vielfalt ist das zentrale Merkmal von Leben, von Kultur und Natur. Die Schweizer Armee ist eine Zwangsgemeinschaft, so werden in der Grundausbildung aus allen Winkeln der Schweiz junge Menschen zusammengezogen, die aus unterschiedlichen Sprachregionen und Bevölkerungsschichten stammen und zudem verschiedenen Glaubensgemeinschaften angehören. Sie sind füllig, sie sind hager, gross oder klein. Die einzigen zwei demografischen Elemente, die sie verbinden, sind ihre Nationalität und ihr Alter. Das gilt in den meisten Fällen auch für die Vorgesetzten. Und hier liegen dann auch die Gefahren.
Worin bestehen diese Gefahren?
Güss: Das Verhalten des Einzelnen ist auch immer mit seiner Persönlichkeit verbunden, gefärbt durch das Elternhaus, die Erziehung und die Ausbildung. Wenn die Mitglieder einer Zwangsgemeinschaft nun 24 Stunden zusammen sein müssen, kaum Privatsphäre haben, stets physisch gefordert werden, am Ende des Tages abgekämpft und müde sind, beginnt sich diese Gemeinschaft manchmal recht «einfach» zu definieren.
Dann sind leider Missgeschicke nicht gänzlich auszuschliessen. Das ist der Nährboden, worauf Konflikte gedeihen. Unter anderen Bedingungen würde eine Situation nicht eskalieren, und im Nachhinein hätte man besser anders reagiert. Dieses Bewusstsein müssen wir mit einer gezielten Ausbildung in der Truppe fördern. Denn es geht uns darum, dass die Fehler, sei es von jungen Milizangehörigen, aber auch im Arbeitsumfeld von Berufsmilitärs, die einmal gemacht wurden, nicht wiederholt werden.
Hug: Manchmal sind es in einer solchen Zweckgemeinschaft die Kleinigkeiten, die zur Eskalation führen. Wenn die Nerven unter den gegebenen Bedingungen angespannt sind und das Umfeld einem fremd ist, dann kann die Zündschnur recht kurz sein. Ich würde diese Konflikte aber nicht mit einer Überforderung erklären, sondern eher mit einem Mangel an Erfahrung und als Ausfluss jenes Umfelds, aus dem man stammt. So sind die einen von Haus aus aufgeklärt, andere werden wiederum mit einer Thematik konfrontiert, die in ihrem Milieu nicht gekannt oder akzeptiert wird. Verunsicherung spielt auch eine zentrale Rolle, das ist aber nicht nur im Militär so, sondern betrifft die ganze Gesellschaft.
Wie wichtig ist für die Armee die Geschlechteroffenheit?
Hug: Eigentlich ist es im Militär wie in allen anderen Bereichen: Die Geschlechterfrage darf keine Rolle spielen, solange der Auftrag erfüllt werden kann. Es muss im Auftrag und im Dienstbetrieb stets um die Sache und nicht um die Person gehen. Andernfalls wäre dies definitiv diskriminierend. Die Schweizer Armee würde mit einem rigiden Ausschlussverfahren zudem zu viele fähige Kräfte verlieren, die sie im heutigen Umfeld dringend braucht. Wenn also keine medizinischen Gründe dagegensprechen, empfehle ich allen, die Militärdienst leisten wollen, dies auch zu tun. Wir sind auf Vielfalt angewiesen.
Wann ist das Thema «Diversity» in der Armee erstmals aufgetaucht?
Güss: Zum ersten Mal nahm der Chef der Armee das Themenfeld Diversität 2008 auf, mit der Absicht, einem breiten Bevölkerungsteil die Chance zu eröffnen, Militärdienst zu leisten. Hemmnisse wurden zwar abgebaut, doch mangels eines entsprechenden Ausbildungskonzepts, das sich wie ein roter Faden über alle Stufen hindurchzieht, haben die Forderungen nicht dort durchschlagen können, wo tatsächlich ein Zusammenleben in einer Zwangsgemeinschaft stattfindet. Dieser Umstand hat den jetzigen Chef der Armee Philippe Rebord dazu bewogen, die Thematik «Diversity» von Neuem aufzunehmen, damit in der Ausbildung der zukünftigen Kader eine entsprechende Sensibilisierung erfolgen kann und eine einheitliche Haltung gegenüber Diversität unmissverständlich umgesetzt wird.
Wo steht die Armee heute beim Thema Diversität?
Güss: Wir verfolgen eine zweigeteilte Strategie: Auf der einen Seite steht das Case Management, wo es um Problemlösungen geht; auf der anderen Seite das Diversity Management, das die ganzheitliche Ausbildung auf Mannschafts- und Kaderstufe umfasst – vom Orientierungstag über die Rekrutierung bis hin zum Lebensweg eines Angehörigen der Armee. Hierfür erstellen wir ein Ausbildungskonzept, das dann kaskadenmässig eingeführt wird. Zudem arbeitet beim Personellen der Armee seit April 2019 die Fachexpertin Diversity Schweizer Armee, die als Scharnier- oder Drehpunkt dieses Themenspektrum bearbeitet.
Wo liegen die Grenzen der Individualisierung in der Armee?
Güss: Wenn eine Person nicht mehr in den allgemeinen Dienstbetrieb integriert werden kann, stossen wir an unsere Grenzen, schliesslich darf nicht vergessen werden, dass die militärische Ausbildung auf Extremsituationen zielt. Trotzdem wäre eine Pauschalisierung der falsche Weg, jemanden für dienstuntauglich zu erklären. Die jeweilige Situation muss immer individuell betrachtet werden, und oft hilft ein Kompromiss, um äusseren Zwängen den Stachel zu nehmen.
Hug: Ab jenem Moment, wo eine Gemeinschaft durch Individualinteressen dermassen gestört wird, dass sie infrage gestellt ist oder nicht mehr in die Lage versetzt ist, ihre Ziele zu erreichen, sollte die Grenzlinie gezogen werden. Die Auftragserfüllung der Schweizer Armee gemäss Bundesverfassung muss stets gewährleistet sein.
Welche Verbindungen zu Internen werden im Bereich Transgender gepflegt, und welche externen Interessenvertreter werden einbezogen?
Güss: Neben der Expertengruppe ist der Bereich Personelles der Armee ein wertvoller Anker für uns. Armeeseelsorge, Psychologisch-Pädagogischer Dienst oder der Sozialdienst sind uns wichtige interne Partner. Extern haben wir Kontakte zum Transgender Network Schweiz und sind daran, weitere Dachverbände miteinzubeziehen. Wir möchten einen allgemeinen, nicht fallbezogenen Austausch mit ihnen pflegen, der es uns ermöglicht, allfällige Probleme antizipieren zu können. So ist für uns wichtig zu erfahren, womit die zivilen Stellen im Diversity Management derzeit konfrontiert sind. Demgegenüber bieten wir Externen die Möglichkeit, Einblicke in den Dienstbetrieb der Armee zu nehmen, was für die zivilen Interessenvertreter auch eine Horizonterweiterung bedeutet. Alles in allem pflegen wir einen ergiebigen Interessenaustausch.
Wo möchten Sie in fünf Jahren mit dem Thema «Diversity» in der Armee stehen?
Güss: Wenn die jungen Menschen erkennen, dass die Armee ihnen vorurteilsfrei einen Platz bietet, haben wir ein grosses Ziel erreicht. Hierfür ist es aber wichtig, dass wir mittelfristig «Diversity» in den Bereichen Ausbildung mit einem roten Faden über alle Stufen hinweg implementieren. Deshalb wünsche ich mir, dass wir in absehbarer Zeit keine Spezialfälle mehr behandeln müssen, was die Vielfalt unserer Armeeangehörigen betrifft, sondern sie durch Integration zur gelebten Normalität und Teil unserer heterogenen Milizarmee gemacht haben. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir auch mehr Frauen in der Armee, schliesslich ist die Schweizer Armee auch ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Hug: Die Schweizer Armee hat Spiegelbildcharakter, doch mein Anspruch an sie als staatliche Institution, die wie keine andere so viele Menschen repräsentiert, ist höher. Wir sollten dorthin kommen, wo wir die Menschen nehmen als das, was sie sind. Die Schweizer Armee sollte eine Vorbildrolle gegenüber der Gesellschaft einnehmen. Denn die Armee ist eine enorm integrierende Organisation!
Quelle: Schweizer Armee
6.9.2019