Auslandeinsätze der Schweizer Luftwaffe – Rückschau auf einen «magischen Moment»

Walter Ludin

Wer fliegen will, muss den Mut haben, den Boden zu verlassen.

Walter Ludin

Super Puma der Schweizer Armee in Albanien

Super Puma der Schweizer Armee in Albanien

Bild ZVG Schweizer Armee

Mit der Operation ALBA schlägt die Schweizer Luftwaffe vor zwanzig Jahren ein neues Kapitel auf. Unter der Schirmherrschaft des UNHCR fliegen Armeehelikopter ab Ostern 1999 den ersten humanitären Auslandeinsatz zur Notversorgung von Kriegsflüchtlingen. Im Nordosten Albaniens leistet die Schweizer Armee Pionierarbeit auf allen Ebenen, ohne die spätere Missionen undenkbar gewesen wären. Eine Reminiszenz an glorreiche Tage.

Es ist 4 Uhr am Nachmittag an jenem Dienstag nach Ostern, als Brigadier Christophe Keckeis, der damalige Stabschef der Luftwaffe, grünes Licht für die Operation ALBA erhält. Der Bundesrat hat soeben entschieden, den Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) ad hoc mit einem humanitären Einsatz zu unterstützen und dafür ein Kontingent nach Albanien zu entsenden.

Der tobende Bürgerkrieg auf dem Balkan, der sich durch die von der NATO im März gestartete Operation ALLIED FORCE verschärft hat, destabilisiert den Kosovo zunehmend, was einen Flüchtlingsstrom aus der Krisenregion zur Folge hat. Gleichzeitig stapeln sich in Tirana Hilfsgüter, die darauf warten, endlich in das schwer zugängliche Grenzgebiet um Kukës transportiert zu werden.

Turbulente Ostertage

Alles nimmt seinen Anfang an Gründonnerstag mit dem Anruf von Charles Raedersdorf, dem Delegierten für humanitäre Hilfe und Chef des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps (SKH), an den damaligen Vorstehers des VBS Bundesrat Adolf Ogi mir der dringlichen Bitte, wegen des sich im Grenzgebiet zwischen dem Kosovo und Albanien abzeichnenden humanitären Dramas Hilfsmassnahmen zu prüfen.

Bundesrat Ogi, der die militärische Friedensförderung prominent auf seiner Agenda zu vertreten weiss, kontaktiert umgehend den Kommandanten der Luftwaffe KKdt Fernand Carrel, der wiederum seinen Stabschef Christophe Keckeis damit beauftragt, Vorabklärungen für eine mögliche Operation in Albanien zu machen. Ogi möchte am Dienstag nach Ostern den Gesamtbundesrat über die Machbarkeit einer entsprechenden Mission informieren. Die Zeitvorgabe ist also äusserst ambitioniert.

Damit beginnen auf oberster Führungsstufe intensive Abklärungen – zu einer Zeit, wo halb Bundesbern bereits im Osterurlaub weilt, die militärischen Kader ihre Büros geräumt haben und die Luftwaffe den Pikettdienst hochgefahren hat. Während Botschafter Philippe Welti, Direktor für Sicherheitspolitik, ein Memorandum of Understanding für die albanische Exekutive ausarbeitet, läuft die Planung unter der Federführung des damaligen Kommandanten Lufttransport Bernhard Müller (Stab Flieger Brigade 31), dem heutigen Kommandanten der Luftwaffe, bereits auf Hochtouren: Piloten und Mechaniker, Logistik- und Wachpersonal müssen rekrutiert werden; Familien überzeugt werden, Väter, Söhne und Ehemänner aus den Osterferien direkt für einen humanitären Einsatz in ein Krisengebiet zu entsenden.

Am Ostersonntag besteigt Brigadier Keckeis mit einem Exponenten des Bundesamts für Betriebe der Luftwaffe, der Katastrophenhilfe sowie des Festungswachtkorps eine Falcon 50, um vor Ort schnellstmöglich Erkundigungen einzuholen – ohne das Wissen des Generalstabs notabene. Seine Beurteilung der Lage ist positiv: Die Voraussetzungen für eine humanitäre Operation sind schwierig, aber gegeben, das Risiko kalkulierbar, auch wenn alles noch auf Handshakes beruht.

Über Sein oder Nichtsein der Operation wird am Ostermontag unter dem Matterhorn geurteilt: Adolf Ogi hat zur Entscheidungsfindung die Verantwortlichen Carrel und Keckeis, Welti und Kälin nach Zermatt aufgeboten. Keckeis überzeugt den Bundesrat von der Realisierung der Operation, nur eines muss der Kampfjetpilot BR Ogi beim Abschied versprechen: Es darf kein Schweizer Bürger getötet werden.

Umgehend fliegt Keckeis nach Alpnach, wo der Kommandant Lufttransport Müller bereits alle Vorbereitungen getroffen hat und mit den 43 Freiwilligen des Einsatzes auf das Briefing wartet. Am nächsten Tag um 8 Uhr rollt der erste von drei Super Puma zum Start in Alpnach. Sein Ziel: die südostitalienische Hafenstadt Brindisi. Dann soll es weiter zur Basis Tirana-Rinas in den von der NATO kontrollierten Luftraum über Albanien gehen.

Eine Operation für die Zukunft

Es ist der Beginn einer Operation, die an den Randbereich eines ethnisch aufgeladenen Konfliktgebiets führt, die den Einsatzkräften am Boden und in der Luft alles abverlangt: dem Mechaniker, dem Piloten, dem Festungswächter. Und auch der gesamten Führung der Luftwaffe. Das ist auch der Grund, warum die Operation die Kader nachhaltig durchdrungen habe, konstatiert Div Müller.

ALBA war in jeder Beziehung eine Ad-hoc-Operation, ohne Sofortmassnahmen und Vorbefehle, denn der eigentliche Operationsbefehl wurde erst drei Wochen später herausgegeben, als die Super Puma schon etliche Tonnen an Hilfsgütern in den Flüchtlingscamps abgeladen und Dutzende Personen medizinisch evakuiert hatten. Die zuverlässigen Flugdienste der Schweizer Luftwaffe sind seither Legende.

Als die drei Super Puma vier Monate später das Camp in Tirana-Rinas wieder Richtung Heimat verlassen, haben sie Geschichte geschrieben. Die Operation ALBA wird Grundlage für alle nachfolgenden Peace Support Operations (PSO) der Schweiz sein, insbesondere für die Operation SUMA 2005 nach der verehrenden Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean. Was von der 17-wöchigen Operation bleibt, ist die Gewissheit, Grosses für die Menschen in Not geleistet zu haben. Und den Boden gelegt zu haben für humanitäre Einsätze. An allem Anfang steht ALBA. Der ehemalige Chef der Armee KKdt Christophe Keckeis wird diese Parforceleistung jener Tage später einen «magischen Moment» nennen.

*Grundlage dieses Artikels ist das Gespräch mit KKdt (a D) Christophe Keckeis und Kdt Luftwaffe Div Bernhard Müller am 25. März 2019.

Quelle: Schweizer Armee / Anthony Favre

6.4.2019

BILANZ

Der erste Auslandeinsatz der Schweizer Luftwaffe dauerte vom 7. April bis zum 30. Juli 1999. Während der 17-wöchigen Operation in Albanien waren in Rotation vor Ort circa 150 Armeeangehörige im Einsatz. Die Bilanz der Operation ALBA ist in jeder Hinsicht bemerkenswert:

• 725 Super-Puma-Einsätze

• 800 Flugstunden (25% des damaligen Jahresbudgets)

• 878 Tonnen transportierte Hilfsgüter

• 5200 transportierte Passagiere

• 348 MedEvac (medizinische Evakuationen)

• 5400 geleistete Diensttage

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